Zusammenfassung

Der Rechtsbegriff ist in Deutschland zu einem Synonym für Schicksal mutiert und mit dieser Mutation verliert die Demokratie jeden Tag mehr ihre Legitimation. Wer Recht laut genug behauptet, schafft es. Wer gegen Recht verstößt und es sich leisten kann, bleibt ohne Sanktionen. "Italienische Verhältnisse" in Deutschland?

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I. Gesetzlich zur Auskunft verpflichtet

„Gesetzlich zur Auskunft verpflichtet ist der Beitragsschuldner und jede Person, bei der Anhaltspunkte vorliegen, dass sie Beitragsschuldner ist (§9 Abs. 1 Rundfunkbeitragsstaatsvertrag)“. Kennen Sie diesen Satz? Haben Sie ihn auch schon einmal irgendwo gelesen? Angeblich ist jeder Bürger gesetzlich verpflichtet, den Rundfunkanstalten Auskunft über seine Wohn- und Lebensverhältnisse zu geben, soweit die Informationen geeignet sind, die angebliche Gebührenpflicht zu begründen oder auch nicht. Die Informationen und das Geld sind angeblich „Bringschulden“ des Bürgers. Bringt er sie nicht unaufgefordert und freiwillig, dann kann „der Anspruch auf Auskunft und Nachweise im Verwaltungszwangsverfahren durchgesetzt werden. (…) Festsetzungsbescheide werden im Verwaltungsvollstreckungsverfahren vollstreckt.“

Diese Auskünfte soll der Bürger angeblich auch der stellvertretenden Firma, früher GEZ genannt, schulden, die ja eigentlich gar keine Firma ist, da sie keine Rechtsperson ist oder hat, sondern nur die verschiedensten Rechtspersonen vertretend tätig wird. Auf diese Weise muss ihr Briefkopf keiner Norm aus HGB oder BGB genügen und kommt daher, wie jedes andere betrügerische Leistungsangebot windiger Unternehmer. Unterschrieben werden die Briefe der ehemaligen GEZ als Unperson „Beitragsservice“ und an keiner Stelle wird eine rechtsverbindlich verantwortliche Person genannt. Nicht einmal eine Telefonnummer unterhält der bürgernahe Beitragsservice und der aufmerksame Bürger fragt sich zu Recht, für wen dieser Service eigentlich ein Service ist, genau so, wie er sich zu Recht auch regelmäßig fragt, für wen dieser Rundfunk rund funkt.

Angenommen dieser genannte Staatsvertrag könnte tatsächlich Recht für den Bürger setzen, dann bestünde eine Auskunftspflicht des Bürgers gegenüber seiner jeweiligen Landesrundfunkanstalt, mit der er dann auf der Grundlage des Staatsvertrages ein Rechtsverhältnis hätte. Gegenüber einem „Beitragsservice“, der nicht einmal eine Rechtsperson ist, besteht eine solche Auskunftspflicht nicht. Die Landesrundfunkanstalten werden durch den Staatsvertrag angeblich ermächtigt, Dritte mit „einzelnen Tätigkeiten bei der Durchführung des Beitragseinzugs“ zu beauftragen. Dabei werden aber weder Rechte noch Pflichten übertragen.

Der Vertrag geht aber noch weiter:

Die zuständige Landesrundfunkanstalt [und NICHT der Beitragsservice!-Anm. Carlo] kann im Wege des Ersuchens für Zwecke der Beitragserhebung sowie zur Feststellung, ob eine Beitragspflicht nach diesem Staatsvertrag besteht, personenbezogene Daten bei öffentlichen und nichtöffentlichen Stellen ohne Kenntnis des Betroffenen erheben, verarbeiten oder nutzen.

Das ist Rechtsrealität im Deutschland bundesrepublikanischer Gestalt im Jahre des Herrn 2013.

II. Gesetzlich zur Auskunft verpflichtet

„Gesetzlich zur Auskunft verpflichtet …“. Nun, der Satz an sich ist schon ein Kuriosum: Es wird eine gesetzliche Reglung behauptet, in der Konkretisierung aber kein Gesetz genannt, sondern ein Vertrag. Es wird ein Recht gegen mich aus einem Vertrag behauptet, den ich nicht kenne und folglich auch nicht unterschrieben habe. Was für eine rechtliche Konstruktion soll das sein, dass ein Vertrag zwischen zwei Rechtsparteien eine Schuld für einen Dritten begründen kann, der an diesem Vertrag überhaupt keinen Anteil hat?

Wo sollte ein solch mächtiger Vertrag in unserem Rechtssystem angesiedelt sein? Über dem BGB, direkt unter, nein, NEBEN dem Grundgesetz? Nur so wäre es erklärbar, dass hier angeblich Schuldverhältnisse für Bürger deklariert werden können, alle im BGB dafür geltenden Regeln aber ignoriert werden, denn das BGB ist in der Rangordnung der Gesetze nach dem Grundgesetz die zweit höchste Rechtsnorm in Deutschland, in der die (privaten) Schuldverhältnisse grundlegend geregelt werden. Im Rang nachfolgende Gesetze und Ordnungen dürfen gegen das BGB nicht verstoßen oder es für unwirksam erklären. Ausnahmen kann nur das BGB selbst deklarieren. – So habe ich als Bürger unser Rechtssystem vor dreißig Jahren einmal verstanden.

Diese Konstruktion unseres Rechtssystems erschien mir damals recht schlau und einleuchtend. Hat sich seither etwas verändert? Habe ich etwas verpasst oder habe ich etwas falsch verstanden? Ist unser Rechtssystem vielleicht gar nicht so gut, wie ich es einmal glaubte? Oder ist vielleicht „nur“ unsere Demokratie nicht wehrhaft genug gewesen, um unser Rechtssystem zu schützen vor den Übergriffen der Lobbyisten, die Ungenauigkeiten und Verschleierung so sehr lieben.

III. Gesetzlich zur Auskunft verpflichtet

„Gesetzlich zur Auskunft verpflichtet …“. Nachdem ich diesen Satz gelesen hatte, machte ich mich auf die Suche nach dem besagten Gesetz, konnte aber keins finden, das für mich, als Bürger Deutschlands und Niedersachsens, eine solche Auskunftspflicht begründet hätte. Allerdings konnte ich ein Gesetz finden, dass auf diesen ominösen Vertrag Bezug nimmt und für den Norddeutschen Rundfunk ein Sonderrecht deklariert: Das niedersächsische Meldegesetz regelt in §34a die regelmäßige Übermittlung von Meldedaten an die Landesrundfunkanstalt.

Ich bin erschüttert! Da erbringt jemand eine sehr fragwürdige Leistung, die ich nicht will. Durch einen Vertrag werde ich entmündigt, meine Daten werden gegen meinen Willen weitergegeben an Institutionen, mit denen ich nichts zu tun habe und mit denen ich auch in der Zukunft nichts zu tun haben will und dann werde ich auch noch zu einer schuldrechtlich relevanten Erklärung genötigt.

Betrachte ich diese Konstruktion mit meinem bürgerlich demokratischen, vielleicht ja auch etwas naiven Rechtsverstand, dann hätte ich nach meinem Rechtsempfinden mit dem NDR kein Rechtsverhältnis und auch kein Schuldverhältnis. Beide entstünden erst, wenn ich mich zu der Selbsterklärung und/oder zu einer Zahlung nötigen ließe, die als Billigung eines einseitig behaupteten Rechtsverhältnisses gedeutet werden könnten.

Der Trick ist nicht gerade neu. Jeden Tag erhalten wir Briefe, die unter Vortäuschung einer erbrachten Leistung mit Hilfe einer Rechnung eine Leistung nur anbieten. Leiste ich auf eine solche Rechnung eine Zahlung, entsteht laut BGB erst durch diese Zahlung ein Vertrag, ein „Vertrag durch schlüssiges Handeln“.

Diesen Trick wenden nun also auch unsere öffentlich rechtlichen Sendeanstalten an?

Der Weg ins „Nichtrecht“

Kann durch einen Staatsvertrag alleine eine Beitragspflicht für den Bürger begründet werden? Kann ein Staatsvertrag Institutionen ermächtigen? Der Rundfunkbeitragsstaatsvertrag will beides. Neben der Deklaration der Auskunfts- und Zahlungspflicht für der Bürger will der Vertrag die Rundfunkanstalten ermächtigen, die Anzeigepflichten des Bürgers „durch Satzung“ zu regeln. Das riecht alles wenig demokratisch und nach Geschäftsführung bzw. Regierung durch Edikt und Erlass, wie zu Kaisers Zeiten.

Wenn Gerichtsurteile, Verordnungen und sogar Verträge auf diese Weise missbraucht werden, um Recht zu setzen oder einzuschränken, um das Recht des Bürgers in seinem Rechtsstaat zu setzen oder einzuschränken, um beispielsweise Landes- und Bundesgesetze zu konkretisieren, die entweder dilettantisch ausgefertigt oder bewusst lückenhaft formuliert wurden, dann bleibt die Rechtsstaatlichkeit dabei sehr bald auf der Strecke.

Unter diesen Bedingungen kann der Bürger das Recht, dem er unterworfen ist, nicht mehr kennen und er kann auch selbst nicht mehr nach seinem Recht suchen. Er muss diese Suche an Profis übertragen, die er dafür bezahlen muss, damit sie nach seinem Recht suchen, oder er muss sich einem Nichtrecht beugen, einem Nichtrecht, das ein Nichtrecht ist, weil es der Bürger nicht mehr kennen und auch nicht mehr überprüfen kann.

Rechtsverwirrung durch Nichtrecht

Nun, es gibt Bürger und auch Rechtsgelehrte, die glauben, solches Nichtrecht entstünde ungewollt, quasi nebenbei, weil unser Rechtssystem inzwischen so groß und so kompliziert geworden ist, dass sich solche „Nebeneffekte“ gar nicht mehr vermeiden ließen.

Die handwerklich oft dilettantisch gestaltete Bevormundung des Bürgers in allen seinen Lebensbereichen soll also nur ein unvermeidbarer Nebeneffekt des komplizierten Rechtssystems sein? Wenn das tatsächlich so wäre, dann wäre das der Abgesang auf unsere Ordnung und Rechtsstaatlichkeit, – der Abgesang auf unsere Demokratie. Ob gezielt und bewusst geschaffen oder ahnungslos naiv gestiftet, Rechtsverwirrung hat immer die selben Folgen!

(…) was wohl befremdlicher sein könne, als zu sehn, daß ein Volk genötigt sei, sich nach Gesetzen richten zu lassen, die es nicht einmal versteht; das in allen seinen häuslichen Geschäften, Eheverbindungen, Vermächtnissen, Testamenten, Kauf und Verkauf an Vorschriften gebunden ist, die es nicht wissen kann, (…) und die es also genötigt ist, sich für Geld, um nicht dagegen zu sündigen, bekanntmachen und erklären zu lassen. (…)“

aus den „Essais“ von Michel de Montaigne,

Gerichtsrat, Politiker und Philosoph, †1592

Aus Nichtrecht wird Unrecht,
aus Unrecht wird Widerstand

Der ÖR-Rundfunk zappelt am Hacken der rechtlosen Rechtsstaatlichkeit als eines von vielen Zeugnissen unserer Zeit und als ein weiteres Zeichen für den Niedergang unserer Demokratie. 80% falsche amtliche Bescheide, die alleine im Zusammenhang mit der Sozialgesetzgebung dokumentiert sind, und unendliche Wartezeiten für zivilrechtliche Auseinandersetzung sind weitere Zeichen für den desolaten Zustand unseres Rechtsstaates und unserer Demokratie.

Eine Demokratie aber kann nur als Rechtsstaat funktionieren. Rechtsstaatlichkeit ordnet das Zusammenleben der Menschen auf der Grundlage gemeinsamer Ordnungsbegriffe. Ein Recht aber, dass der Allgemeinheit nicht mehr zugänglich und einleuchtend ist, das ist nur noch ein dem Zufall unterworfenes Schicksal und hat keinen ordnenden Charakter mehr.

Im Gegenteil: Ein solches Recht wird sogar der Wegbereiter und die Grundlage für Unrecht. Ein solches Recht ist nur noch ein Werkzeug der Ausbeutung und der Unterdrückung: Diejenigen, die dieses Pseudorecht machen und diejenigen, die es sich leisten können, dieses Pseudorecht zu beugen, zu umgehen oder zu ignorieren, diese Wenigen unterdrücken alle Anderen, die zum Opfer unverständlicher Rechtsbegriffe und -konstruktionen werden.

Wenn der Bürger das Recht, dem er unterworfen ist, nicht mehr kennen kann, wenn der Bürger nach seinem Recht selbst nicht mehr suchen kann, wenn der Bürger sich einem undurchsichtigen Recht nur noch ausgeliefert sieht, dann muss er anfangen an seinem Recht zu zweifeln. Wenn der Bürger beginnt, an seinem Recht zu zweifeln, dann wird es Zeit, dass er beginnt für sein Recht zu kämpfen, um es grundlegend zu verändern.
 

 

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