Zusammenfassung

Ordnung ist ein wichtiges Staatsziel in Deutschland. Dabei ist es für die Führungseliten der Welt in allen Zeiten der menschlichen Entwicklung immer ein historisches Privileg gewesen, sich über den Erfolg ihrer Ordnungsregeln zu täuschen und alle Zeichen des Misserfolgs zu ignorieren. Gesellschaftliche Veränderung und Erneuerung brauchen keine Polizisten wenn wir uns irgendwann unserer eigenen bürgerlichen Verantwortung stellen.

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Ordnungs-Chaos

ODER: Der Teufel trägt keine Verantwortung

I. Zustände

Lange hatten die Bürger dafür gekämpft. Diese gefährliche Kreuzung sollte eine Ampel erhalten. Unter den Bedingungen eines stetig wachsenden innerstädtischen Verkehrs war an dieser Kreuzung eine Ordnung der Abläufe dringend geworden, um die Zahl der Unfälle zu reduzieren.

Das ist jetzt vierzig Jahre her. Es war ein beschwerlicher Weg für die Bürgerinitiative, aber heute steht an dieser Kreuzung tatsächlich eine Ampel. Und darüber hinaus steht heute neben dieser Ampel manchmal sogar ein Polizist, – nicht immer, aber oft.

Der Polizist steht zwar neben dieser Ampel nicht, um die Kreuzung sicherer zu machen. Dennoch leistet er an dieser Ampel einen wichtigen Dienst. Er steht dort, um das ordnungspolitische Investment „Ampel“ einträglich zu machen für den Haushalt der Gemeinde und er steht dort auch, um für den Bürger das Lebensgefühl in einem „Ampelstaat“ präsent zu machen und die staatliche Ordnungsmacht allgegenwärtig. Der Polizist steht dort, um die rechte Wahrnehmung des Bürgers zu üben. Der Bürger soll sich stets sicher, beschützt und beobachtet fühlen. Dafür steht der Polizist neben dieser Ampel, ermahnt Verkehrssünder und verteilt Strafzettel.

Ordnung ist ein Staatsziel. Ordnung ist ein wichtiges Staatsziel und in Deutschland ganz besonders. Die Durchsetzung von Ordnung regelmäßig offensichtlich zu machen, das ist ein Regierungsziel, nicht zuletzt auch, um von der ansonsten eher verbreiteten Unordnung abzulenken. Der Polizist an der Ampel ist also sozusagen ein Übungsleiter für den Bürger. Der Bürger soll mit den Staats- und Regierungszielen leben lernen. Der Bürger soll die Ordnungsmacht seines Staates regelmäßig vor Augen geführt bekommen, – damit er nicht an ihr zweifele.

So, wie im Deutschland unserer Tage, ist diese Strategie der Führungseliten und der Ordnungskräfte vielerorts auf der ganzen Welt zu beobachten und das sogar völlig unabhängig von der jeweiligen Staats- und Herrschaftsform.

Allerdings machen sich die Regierungen von angeblich „freiheitlich demokratischen“ Staaten mit dem Polizisten neben der Ampel auch einmal mehr chinesische Lösungen zum Vorbild: Sie stellen den Bürger unter einen Generalverdacht, der einen maximalen Kontrollaufwand rechtfertigt und der zugleich ein lukratives Geschäftsmodell etablieren hilft. Die Ampel erhält einen Polizisten, der Ausweis erhält ein biometrisches Profil, der Alexanderplatz erhält ein paar Kameras mehr und der Innenminister erhält ein paar Vorratsdaten. Das ist eigentlich alles gar nicht sonderlich spektakulär und gar nicht schlimm.

„Ich habe ja nichts zu verbergen“, sagt meine Nachbarin und ich denke, „warum sagt sie das so laut? Hat sie vielleicht doch etwas zu verbergen und will mich nur ungeschickt davon ablenken?“. „Solche Strategien bleiben einer Überwachungskamera aber verborgen“, will ich meine Nachbarin aufklären und ertappe mich dabei, doch nur schweigend das Weite zu suchen, die Flucht aus einem gefährlichen Gespräch, das keinen Erfolg verspricht. Gibt es das tatsächlich wieder in meinem Deutschland, ‚gefährliche Gespräche‘? Welche Art Bedrohung identifiziere ich plötzlich in einem Gespräch mit meiner Nachbarin? – Dieser Terz in meinem Kopf ist ungesund!

Die Zahl der Verstöße gegen irgendwelche Ordnungen, die das Mensch jeden Tag begeht, weil das Mensch nun einmal Mensch ist, rechtfertigt die flächendeckende Installation von Kameras, die inzwischen alle öffentlichen Räume in unseren Innenstädten kontrollieren helfen, will man uns glauben machen, und es rechtfertigt die Vorratsdatenspeicherung zu jedem Bürger und es rechtfertigt die zentrale Sammlung von biometrischen Daten zu jedem Bürger und es rechtfertigt die zentrale Sammlung von Gesundheitsdaten von jedem Bürger, will man uns glauben machen.

Was als Hilfsmittel für die Menschen geschaffen wurde, das ist zu deren Geißel geworden, zu einer Geißel, die den Menschen entmündigt und bevormundet, zu einer Geißel, die völlig sinnentleerte Ordnungsbegriffe etabliert und durchsetzen hilft, zuerst und vor allem im Kopf der Menschen. Wer der Ampel nicht gehorcht, der erhält von dem freundlichen Ordnungshüter neben der Ampel eine Strafe, zahlbar innerhalb von Tagen, Widerspruch ist sinnlos und hat keine aufschiebende Wirkung.

Der Deutsche gehört auf diese Weise heute zu einem der komischen Völker auf diesem Planeten, die sich von bunten Lichtern entmündigen lassen und vor bunten Lichtern sogar stramm stehen, wenn es nur eine Ordnung gibt, die das verlangt, beinahe wie der Chinese oder der Nord-Koreaner.

II. Kardinalirrtümer

Aber Ordnungen werden von Mensch gemacht. Ordnungen werden von Mensch gemacht, um Ziele zu erreichen, die ohne Ordnung nicht erreichbar erscheinen. Je mehr Ziele das Mensch aber erreichen will, desto mehr Gründe findet es, um der Menge der existierenden Ordnungen eine neue Regel oder sogar eine neue Ordnung hinzuzufügen. So wird das Gemenge der Regeln ständig größer und das Mensch ständig mehr Opfer seiner eigenen Ordnungswünsche. Die Folgen sind fatal und in der Zeit des Corona-Unglücks noch viel fataler.

Glücklicher Weise hat auch diese bedauerliche Entwicklung eine natürliche Grenze: Ist eine Ordnung zu kompliziert oder ist die Zahl der Regeln zu groß, um praktisch anwendbar zu sein, dann wird die Ordnung nicht mehr praktiziert. Das Mensch ersetzt eine nicht mehr anwendbare Ordnung kreativ durch etwas, das der unbrauchbaren Ordnung ähnlich erscheint, im Gegensatz zu dieser aber allgemeine Akzeptanz erfährt.

In solchen Fällen täuschen sich das Mensch und seine Regierungen regelmäßig über die Erfolge ihrer Ordnung hinweg, über die Erfolge ihres Fünfjahresplans oder die Erfolge ihrer atomaren Stromgewinnung, über die Erfolge der Privatisierung von volkseigenen Einrichtungen und staatlichen Aufgaben und über die Erfolge der E-Auto Strategie und der Anti-Corona Regeln. Dieser Mechanismus der Selbsttäuschung macht dann auch die Regierungen der Honeckers und der Merkels, der Putins und der Trumps möglich und scheinbar so erfolgreich.

Es ist für die Führungseliten der Welt in allen Zeiten der menschlichen Entwicklung immer ein historisches Privileg gewesen, sich über den Erfolg ihrer Ordnungsregeln zu täuschen und alle Zeichen des Misserfolgs zu ignorieren. Das ist mit ein wenig Kenntnis der Geschichte von Mensch leicht zu beweisen. Wir erkennen dann auch, dass es historisch ebenso immer ein Privileg der Presse war, der Bürokraten und der Lobbyisten war, die Führungseliten bei ihrer Fehleinschätzung zu unterstützen.

Gesellschaftliche Veränderung und Erneuerung brauchen keine Polizisten, die neben Ampeln stehen, um Strafzettel zu verteilen. Wenn verstaubte Ordnungen die Kreativität, die Vernunft und die Verantwortung des Menschen zu ersticken drohen, dann wird der Beruf des Polizisten nur deshalb schwer, weil die Politik versagt hat.

Und was tun wir dann?

Wir gehen auf die Suche nach unserer Ordnung und wenn wir sie gefunden haben, dann stellen wir uns vor unsere Ordnung „wie ein Mann“, um sie zu verteidigen gegen alle Kräfte, die unsere Ordnung beschädigen oder sogar abschaffen wollen.

III. Ordnungssuche


Auf der Suche nach dem Komplexen und Undurchdringlichen, das diese Welt für die überwiegende Zahl der Menschen unerträglich macht, fand er nur Simples und Banales. Die offensichtlich banalen Regeln in der Menschenwelt hatten über die Jahrhunderte hinweg nur ihr Erscheinungsbild geändert, waren aber im Grunde immer unverändert geblieben. Diese immer gleichen Regeln versteckten sich nur hinter Komplexität und Undurchsichtigkeit. Im Kern waren sie seit Jahrhunderten gleich geblieben.

Nicht Vernunft, Verantwortung und Verstand gestalteten die Menschenwelt, sondern Einfältigkeit, Ignoranz und Gewalt, nicht Wahrhaftigkeit, Fürsorge und Mitgefühl, sondern Glauben und Verführung, Lüge und Unverbindlichkeit, heute genau so, wie vor eintausend Jahren. Die Verheißungen des Humanismus und der Aufklärung erwiesen sich als trügerisch. Der Teufel des kirchlich geprägten Mittelalters war der Konsum und der Mammon des industriealisierten Informationszeitalters im Spätkapitalismus geworden. Er hatte nur sein Antlitz geändert, war aber nicht weniger wirkungsvoll als vor 1000 Jahren. Die soziale Marktwirtschaft war kein Staatsziel, sondern ein Lendenschurz für den Urzeitmenschen im Seidenanzug, der seinesgleichen noch immer versklaven wollte. Und überall fand er den Menschen in der Unfreiheit, die schon Emanuel Kant beschrieben hatte, in der Unfreiheit, die der Mensch seit Menschengedenken selbst und freiwillig wählt, um der Aufklärung und jeder eigenen Verantwortung zu entkommen.


Aber vielleicht stellen wir uns ja auch irgendwann einmal unserer eigenen Verantwortung für eine bessere Welt, unserer Verantwortung für bessere Schulen, bessere Lehrpläne und bessere Lehrer, unserer Verantwortung für bessere Parlamente, bessere Politik und bessere Politiker, unserer Verantwortung für bessere Arbeitsplätze, bessere Produktionsbedingungen und bessere Unternehmer, unserer Verantwortung für weniger Börsen und Banken, weniger Gewinnorientierung und bessere Investoren, unserer Verantwortung für weniger Globalisierung und mehr Umweltschutz, vielleicht stellen wir uns irgendwann einmal unserer eigenen bürgerlichen Verantwortung für uns selbst.

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