Zusammenfassung

Die existenziellen Probleme der Menschen sind keine Wahlkampfthemen mehr, weil sie im Weltbild der Volksvertreter nicht mehr vorkommen oder nicht als genauso relevant angesehen werden, wie eine Energiewende oder eine Klimaschutzwende oder eine Wahlwende. Das aber ist ein Irrtum und ein systemisches Problem, das vor allen anderen zu lösen ist, wenn die Transformation der Gesellschaft in die "richtige Richtung" gehen und dabei menschenwürdig bleiben soll.

Schlagworte

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Schwarzbunte Socken

Waschmittelwahlkampf
oder: Über die Qualen der Bundestagswahl 2021

Endlich Wahljahr! Es ist endlich wieder soweit: Der Wahlkampf zeigt dem Bürger, dass er in einer Demokratie lebt. Auch wenn dieser Wahlkampf im Jahr 2021 mehr noch ohne Inhalte geführt wird als in den letzten Jahrzehnten zuvor, soll der Bürger trotzdem glauben, er hätte einen Einfluss gehabt auf das, was danach kommen wird. So wünscht sich das die Politik. Aber es fällt dem Bürger mit jeder neuen Wahl schwerer, das zu glauben, denn schon lange macht kein Politiker mehr einen Wahlkampf für seine Überzeugung in einer oder mehreren Sachfragen oder gar für eine konkrete Vision von der Reformation der Gesellschaft.

Der Wahlkampf unserer Tage hat weniger verbindliche Inhalte als jede Waschmittelwerbung. Weil der Kandidat nichts zu sagen hat, stellt er ein Kompetenzteam vor, dessen Inkompetenz bereits in der letzten Regierungsperiode unter Beweis gestellt wurde und spricht dabei von einem „Zukunftsteam“.

Wenn dieser Wahlkampf die Fortsetzung der parlamentarischen Auseinandersetzung mit andere Mitteln ist, dann macht er mir zunehmend mehr Angst.

Wahlwerbung mit Gefühl

Der Wähler soll sich nur noch sicher fühlen. Er soll in den Spitzenkandidaten der verschiedenen politischen Parteien einen Kämpfer für seine wirtschaftliche und soziale Sicherheit finden, so wie es sich der Wähler gerade vorstellt, auch wenn es diesen Kämpfer eigentlich gar nicht mehr geben kann. Die Parteistrategen haben deshalb die besten Werbestrategen verpflichtet und der Wahlkampf strotzt nur so vom „Messaging“ und „Targeting“ der Strategen im Auftrage der Partei. Der Kandidat mutiert vom Volksvertreter zum Produkt, das rhetorisch geschliffen wird und in den gekauften Medien den „Weichspüler der Experten“ erhält. Gezielt werden zielgruppenorientierte Nachrichten plaziert, damit jeder Wähler in ein und dem selben Bewerber seinen individuellen Kandidaten finden kann. Populismus pur – überall!

„Sagen sie besser nichts, bevor sie etwas sagen, das das Marketingprofil gefährdet“, rät der Werbeprofi dem Kandidaten und beklagt sich: „Ach, warum haben nur so wenige Politiker eine medientaktische und rhetorische Ausbildung erhalten?“

In deutschen Schulen wird heute die ‚Darstellung von fremdem Wissen‘ trainiert und auch das öffentlichkeitswirksame Auftreten ohne inhaltliche Verbindlichkeit. Diese Ausbildung merkt man einem jüngeren Menschen sofort an. In Deutschland gibt es in der Schule leider nicht die traditionellen „Diskussionszirkel“, wie in den USA, wo der inhaltliche Diskurs in der Öffentlichkeit geübt wird, wo jedes öffentliche Auftreten eine sachliche Auseinandersetzung mit den Inhalten erfordert und wo eine eigene Haltung gezeigt werden muss, um gute Schulnoten zu erhalten.

Plakat der Rote-Socken-Kampagne der CDU 1994 :: Urheber: Christlich Demokratische Union (CDU) :: Lizenz: KAS/ACDP 10-031 : 50219 CC-BY-SA 3.0 DE

Rote-Socken-Zeit kennzeichnet Mitte-Vertreter

Deshalb ist die Wahlkampfzeit für die CDU wieder einmal die „Rote-Socken-Zeit“. Seit 1994 wirbt die CDU/CSU regelmäßig mit dem „Schreckgespenst der Linken Koalition“ GEGEN die SPD, anstatt FÜR die eigene schwarze Politik und ihre Vorstellung von Wirtschaftsliberalismus zu werben. Sie gibt vor, „die Mitte“ gegen „Links“ verteidigen zu müssen, ohne die Mitte zu beschreiben. Die Grünen glauben deshalb, sie würden die selbe Mitte meinen, die auch die CDU/CSU meint. Aber da irren sie sich. Die Mitte der CDU/CSU ist eher die wirtschaftsliberale Mitte der FDP, unbelehrbar und verstaubt, und damit unvereinbar mit der Mitte der Grünen, die ein Jungbrunnen einer neuen Mitte sein wollen und nicht bemerken, dass sie dabei nur elitär geworden sind. Der gravierende Unterschied zwischen den Mitte-Vorstellungen der Parteien wird aber niemals aufgeklärt werden, denn der Kampf um die Macht hat eigene Gesetze, Gesetze die jeden Kompromiss möglich machen werden, nach der Wahl.

Eines verbindet die CDU/CSU aber tatsächlich mit den Grünen und mit der FDP: Sie hoffen alle vier, dass der Bürger noch immer an „Mitte“ glaubt und „Mitte“ liebt, auch wenn „Mitte“ das letzte ist, was Deutschland jetzt braucht. Denn Mitte ist piefig!* Die CDU/CSU-Wahlkoalition will dennoch vor der Wahl keine eigene Idee von der Zeit nach der Wahl zur Wahl stellen, denn sie fürchtet schon mindestens seit 1994 durch ihre wahre Agenda unwählbar zu werden. Auch das verbindet sie mit den Grünen und mit der FDP.

Die CDU/CSU-Wahlkoalition macht deshalb seit Jahrzehnten lieber Wahlkampf „Gegen“, als Wahlkampf „Für“. Und mal ehrlich, hätten Sie Frau Merkel gewählt, wenn sie damals mit dem Bild von einem Deutschland geworben hätte, wie es heute ist?

Wahlkampf ohne Haltung

Eine echte eigene Haltung, eine eigene Vision und Position darf heute kein Kandidat mehr zeigen, wenn er in Deutschland einen erfolgreichen Wahlkampf machen will. Er wird sonst zum Opfer der Medien, die für jede echte Haltung eine Zielgruppe kennen, an die der Wahlkämpfer, der ein eigenes Gesicht zeigt, verkauft werden kann. Negative Schlagzeilen gewinnen ihre Relevanz aus den Haltungen der Menschen und sie verkaufen sich besser, als langweilige neutrale Berichte über waschmittelgewaschene Kandidaten.

Die Folgen sind klar: Der Wahlkampf kann gar keine Fortsetzung der parlamentarischen Arbeit mehr sein, weil die Medien das Profil der Kandidaten schärfen oder vernichten, je nach Handelswert der Schlagzeilen, die sie liefern. Und in den Zeiten des Internets ist ein Kandidatenprofil schneller vernichtet, als ein neues aufgebaut und finanziert.

Deshalb wird Wahlkampf nur noch „Gegen“ gemacht, gegen den angeblichen politischen Widersacher und gegen die falschen Versprechen der Mitbewerber, gegen Rechts und gegen Links und gegen jede Form des Extremismus, – als wäre die Parteiendemokratie unserer Tage keine Form eines antidemokratischen Extremismus. Jedes „Gegen“ schärft das Profil schneller und unverbindlicher als ein „Für“.

Demokratieunverständnis

Wenn dieser Wahlkampf die Fortsetzung der parlamentarischen Auseinandersetzung mit andere Mitteln wäre, dann wären das sehr dunkle Aussichten für die Deutsche Nation und ihre Demokratie.

Die „Schulsprecherin der grünen Nation“ hat kürzlich eine wirklich gute Idee in den Wahlkampf eingebracht, als sie den Kauf von Lastenfahrrädern der Bürger durch Zuzahlungen des Staates genau so fördern wollte, wie die Beschaffung von E-Autos. Aber für wen ist das tatsächlich relevant? Wie viele Bürger erwägen, 2500 Euro dafür auszugeben, um mit einem Lastenfahrrad einkaufen zu fahren? Das können wohl nur solche Menschen sein, die körperlich eine entsprechende Leistungsfähigkeit aufweisen, um ein Lastenfahrrad über größere Entfernung zu bewegen und in den Fahrradkeller zu bringen, oder die eine Garage besitzen, mit ausreichendem Platz für die Unterbringung eines solches Fahrrades, Menschen, die ein entsprechendes Einkommen haben, um ein solches Fahrrad zu beschaffen, Menschen, deren Einkauf die Transportkapazität des Fahrrades nicht übersteigt, deren Einkauf in geeigneter Nähe statt findet und deren Einkaufsbedingungen auf absehbare Zeit unverändert bleiben, um ein entsprechendes Investment zu relativieren. Wie viele Menschen werden also diese Förderung genießen, während immer mehr Menschen in die Altersarmut abgleiten? Das klingt doch sehr nach Lobbyismus für die Fahrradindustrie und nach schlimmster Klientelpolitik für eine kleine „mittelständische“ Elite.

Diese Bewerberin hat offensichtlich ihre Bodenhaftung verloren, noch bevor sie das erste Mal ein Amt des Staates bekleidet hat. Sie verbreitet Ablenkungsbotschaften und führt einen populistischen Wahlkampf, um von der tatsächlichen Agenda ihrer Partei abzulenken, – genau so, wie die CDU/CSU. Sollen wir diese Bewerberin für das wählen, was sie selbst nicht überzeugend thematisieren kann (oder will)?

Wenn dieser Wahlkampf die Fortsetzung der parlamentarischen Auseinandersetzung mit andere Mitteln ist, dann sind das sehr dunkle Aussichten für die kommende parlamentarische und Regierungsarbeit in Deutschland.

„Nun sollten wir endlich richtigen Wahlkampf machen“, lässt sich ein Spitzenkandidat zitieren und er beschwört seine Parteifreunde, man könne „das Rad noch herumreißen“, um sich vor der Oppositionsbank zu retten, denn „auf Opposition habe ich gar keine Lust“. Worum geht es diesem Herren tatsächlich, wenn er sich in dieser Weise zitieren lässt und das selbst nicht als Fehler erkennt? Er möchte um jeden Preis die Regierungsgewalt behalten, um die liberalisierende Wirtschaftspolitik der letzen 40 Jahre fortsetzen zu können, also genau jene Politik, die Deutschland in die Lage gebracht hat, in der es heute ist: Heruntergekommene Schulen und Universitäten, kaputtgesparte Infrastruktur, Entwicklungsland in der Digitalisierung, Importeur von gering qualifizierten Arbeitskräften et cetera, et cetera;

Der aussichtsreichste Spitzenkandidat schweigt, wie die Kanzlerin der CDU/CSU in den letzten 16 Jahren. Das beunruhigt mich sehr. Ich muss aber anerkennen, dass diese Strategie der Kanzlerin in den letzten 16 Jahren sehr erfolgreich war, wenn es um die Durchsetzung ihrer persönlichen Vorstellungen ging.

Im übrigen ist dieser Kandidat der einzige Bewerber, der etwas gelernt hat und der das Gelernte auch beruflich nutzte, bevor ihn höhere Parteiämter von seinem Beruf zunehmend entfernten und zu seiner neuen Berufung wurden. Und es macht mir sogar ein wenig Mut, dass dieser Kandidat durch seinen Beruf als Jurist und als Fachanwalt für Arbeitsrecht sehr konkrete Vorstellungen von den Lebensbedingungen der Menschen sammeln konnte, bevor er sich vollständig auf die real existierende Sozialdemokratie der 90er Jahre einließ und höhere öffentliche Ämter übernahm. Er ist kein Karrierepolitiker, wie viele Andere, sondern hatte sein wirtschaftliches und soziales Auskommen auch ohne die Politik und ohne die Partei. Dass er schweigt, wie die Kanzlerin, das halte ich auch für besorgniserregend. Schweigen ist eine Strategie der Intransparenz, die völlig ungeeignet erscheint für die Bewältigung der Aufgaben unserer Tage und für die Arbeit in leistungsfähigen Teams. Dennoch ist dieser Kandidat wohl mit Abstand das kleinste Übel in dieser Bundestagswahl.

Es ändert aber alles nichts daran: Wenn dieser Wahlkampf die Fortsetzung der parlamentarischen Auseinandersetzung mit andere Mitteln ist, dann macht er mir zunehmend mehr Angst.

Aussichten

Aber was ist dieser Wahlkampf dann anderes? Welche Rolle spielt er in der Gestaltung unserer demokratischen Kultur? – Die Antwort auf dieser Frage macht mir ebenso viel Angst wie das Ergebnis dieser Wahl. Das Bild, das dieser Wahlkampf vom Zustand unserer Demokratie zeichnet, ist erschreckend und lässt mich für die Lösung der aktuellen Probleme nichts Gutes erwarten.

Die existenziellen Probleme der Menschen sind kein Wahlkampfthema mehr, weil sie im Weltbild der Volksvertreter nicht mehr vorkommen oder nicht als geanuso relevant angesehen werden, wie eine Energiewende, eine Klimaschutzwende oder eine Wahlwende. Das aber ist ein systemisches Problem, das vor allen anderen zu lösen ist, wenn die Transformation der Gesellschaft in die „richtige Richtung“ gehen und dabei nachhaltig und menschenwürdig bleiben soll. Der Verlust der bürgerlichen Mitte macht die Gesellschaft insgesamt anfällig gegen jede Form des Extremismus und ein „hungerndes“ Volk ist schwer zu bewegen, aber leicht zu manipulieren. Das sind Rahmenbedingungen, die sehr ungünstig sind für eine erfolgreiche und stabile Transformation der Gesellschaft.

* Lesen Sie über die politische Mitte in Deutschland auch den Beitrag in der Glotzbox: Mitte ist piefig

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