Die modernen Sklaven zahlen pünktlich ihre Steuern
10 März 2012
Ansicht von Carlo Fisch in Gesellschaftsordnung, Politik
835 Worte
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Zusammenfassung
Der moderne Sklave ist selbständiger Kleinunternehmer, der seine Steuerschuld durch maximale Selbstausbeutung erbringt und dabei zu wenig verdient, um eine Altersvorsorge zu finanzieren.
Schlagworte
Altersvorsorge, Ausbeutung, Finanzamt, Kleinunternehmer, Maßstab, Menschen, politische Verantwortung, Rente, Selbständigkeit, Sklaverei
Inhalt
Ausbeutung durch das Unmögliche
‚Ausbeutung‘ ist in gewissen Kreisen ein Modewort mit langer Tradition und es meint zumeist einen Chef, der von seinen Leuten Einsatz und Leistung fordert. – Voller Neid schauen jene Menschen, die dieses Wort gerne verwenden, auf die selbständigen Kleinunternehmer, die scheinbar nur sich selbst als Chef akzeptieren und ertragen müssen. Diese neidvollen Menschen übersehen dabei, dass gerade das ein nicht unerhebliches Problem darstellen kann. Den Chef den ganzen Tag ständig um sich zu haben und am Abend auch noch mit ins Bett zu nehmen, das ist weiß Gott nicht immer ein Vergnügen.
Ich erinnere mich an ‚Das Buch der Unruhe‚ von Fernando Pessoa, in dem er schreibt:
…da wir alle aber im Leben ausgebeutet werden müssen, frage ich mich, ob es nicht weniger schlimm ist, von Herrn Vasques, dem Tuchhändler, ausgebeutet zu werden als von Eitelkeit, Ruhm, Verachtung, Neid oder dem Unmöglichen.
Die freie Entfaltung der Selbstausbeutung
Die schlimmste Art der Ausbeutung ist die Selbstausbeutung. Sie kommt daher wie eine Medusa, die, in ein Engelsgewand gekleidet, mit dem einen Gesicht die freie Entfaltung der Persönlichkeit verspricht, während alle anderen Köpfe die Gewalt predigen, die nur wir selbst uns antun können. Diese Gewalt führt zur maximalen Ausbeutung unserer Leistungsfähigkeit und lässt uns dabei gerade noch am Leben.
Der Bundesminister für Wirtschaft und die Bundesagentur für Arbeit empfehlen trotz der bekannten schlechten Erfolgszahlen auch im zehnten Jahr nach der Einführung der Hartz-Regeln:
„Machen Sie sich selbständig!“
Diese beiden Institutionen wissen sehr genau, dass auch die aktuellen Verschärfungen der Regeln für die Vergabe von Fördergeldern nicht wirklich dafür geeignet sind, stabile Unternehmensgründungen aus der bevorstehenden Kündigung oder gar aus der Arbeitslosigkeit heraus zu ermöglichen.
Welches Ziel also verfolgen diese Institutionen mit ihrer Empfehlung?
Der Wunschbürger
Ich denke, diese Institutionen wissen sehr genau, dass moderne Kleinunternehmer die höchste Produktivität und, gemessen an ihrem Einkommen, auch die höchste reale Steuerleistung haben und dass sie dabei zugleich auch die geringste Lebenserwartung haben. Sie leisten also für die Volks- und Versicherungswirtschaft viel und holen verhältnismäßig wenig von ihr ab. Sie sind demnach die Wunschbürger eines auszubeutenden Industrie- und Dienstleistungsvolkes. Diese Wunschbürger sind nicht nur fleißig, produktiv und genügsam, der übermäßige Grad der Selbstausbeutung macht sie auch noch wehrlos gegen die meisten Anfeindungen aus ihrem kaufmännischen Umfeld: Wer maximierte Produktivität als Maßstab für erfolgreiches Leben gewählt hat, der kann mit unproduktiven Fragen und Aufgaben nur wenig anfangen. Sie lähmen den produktiven Verstand und den Widerstandswillen.
Die wichtigsten Güter
Die typischen deutschen Kleinunternehmer gehen deshalb beispielsweise jeder Auseinandersetzung mit dem Finanzamt lieber aus dem Weg und sie zahlen lieber auch fragwürdige Forderungen, weil sie davon ausgehen müssen, dass eine Auseinandersetzung mit einem Amt, selbst wenn sie günstig verläuft, im Vorfeld unverhältnismäßig viel Zeit und Geld kostet und sehr viel Kraft und Produktivität abschöpft. Für letztere gibt es aber auch im günstigsten Fall einer erfolgreichen Auseinandersetzung keine Entschädigung.
Die eigene Kraft und Produktivität, die eigene Schaffenskraft aber sind für Kleinunternehmer die wichtigsten Güter. Nicht zuletzt deshalb gehen sie auch der intellektuellen Auseinandersetzung mit dem Tagesgeschehen und mit ihrer eigenen Situation lieber aus dem Weg. Die Aussicht, zum privilegierten Mittelstand Deutschlands zu gehören, betäubt die meisten Emotionen wie eine Droge. Die Selbstlüge, es gäbe einen Mittelstand in Deutschland, bleibt dem konditionierten modernen Sklaven verborgen. Die letzten Emotionen können nach einem übermäßig langen Arbeitstag nur noch vor dem heimischen Fernseher im Frauentauschrausch verjaucht werden.
Der moderne Sklave ist selbständiger Kleinunternehmer. Er zahlt im modernen Deutschland pünktlich seine Steuern und hat zu wenig für seine Altersversorgung getan.
Nachbemerkung
Sie fragen sich jetzt vielleicht, warum der erste Teil des letzten Satzes in der Gegenwart, der zweite Teil aber in der vollendeten Vergangenheit geschrieben ist? Die Steuern werden gnadenlos bis zur letzten selbstausgebeuteten Arbeitsminute eingetrieben, obwohl schon lange bekannt ist, dass sich viele hunderttausend Unternehmer längst in die sichere Altersarmut gewirtschaftet haben, – wenn sie das Alter jemals erreichen, und sie können daran auch nur noch schwerlich etwas ändern.
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Im übrigen möchte ich auch noch darauf Hinweisen, dass die hier geschilderte Selbstausbeutung der Kleinunternehmer nicht die einzige Art der modernen Sklaverei in Deutschland ist. Sie ist aber sicher eine der brutalsten.
Es gibt seit einiger Zeit einen steten Zuwachs in der Menge der Geschäftskonzepte, die, z.B. als Franchising System schön gerechnet, sogar ausschließlich auf diese Art der Sklaverei bauen und ausschließlich hierdurch ihre kaufmännische Attraktivität erlangen. Dem Franchise-Nehmer ist oft nicht klar, dass sein Unternehmerlohn gerade dem Lohn eines angestellten Mitarbeiters entsprich, er aber für null Prozent Einfluss auf seinen Geschäftserfolg einhundert Prozent Risiko trägt.
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http://www.selbststaendig-machen.net/geld-und-finanzen/droht-selbststaendigen-die-altersarmut-10204 zur Altersarmut von Kleinunternehmern
http://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/0,1518,687760,00.html zur Mittelstandslüge
1 Kommentare
Carlo schreibt:
21. November 2012 um 05:09 Uhr
Am 17. November 2012 fand ich in der Neuen Presse (Hannover) in einer Spalte untereinander die drei folgenden dpa-Nachrichten:
1. Jeder Vierte wäre gerne selbständig
In der Mitteilung heißt es, dass laut Umfrage der GfK (Gesellschaft für Konsumforschung) jeder vierte Deutsche gerne selbständig wäre, weil er sich durch die Selbstständigkeit Unabhängigkeit vom Arbeitgeber, Selbstverwirklichung, zusätzliche Verdienstmöglichkeiten und eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie verspricht.
lesen Sie hier die vollständige Nachricht
2. Mangelhafte Kurse für Existenzgründer
In dieser Mitteilung meldet die Stiftung Warentest, dass die meisten Existenzgründerseminare höchstens Mittelmaß wären.
lesen Sie bei der Stiftung Warentest mehr zum Thema
3. Burnout nicht mehr nur „Manager-Krankheit“
Hier berichtet das Marktforschungsinstitut YouGov über eine Umfrage, in der die meisten Bundesbürger der Ansicht sind, dass jeder das Burnout Syndrom bekommen kann.
lesen Sie hier die vollständige Mitteilung
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