Parteiendemokratur
25 Januar 2013
Einsicht von Carlo Fisch in Demokratie, Gesellschaftsordnung, Politik
1190 Worte
≈ 1 Kommentare
Zusammenfassung
"Die Parteien wirken bei der politischen Willensbildung des Volkes mit" heißt es im Artikel 21 des Grundgesetzes? - Nun, so ganz trifft diese Formulierung die Realität wohl nicht ...
Schlagworte
Amt, Bundestagswahl, Bürger, Demokratie, Demokratieverständnis, Grundgesetz, Integrationsbeauftragte, Karriere, Landtagswahl, Mandat, Niedersachsen, Parlamentarismus, Parlamentswahl, Parteien, Verantwortung, Verfassung, Volksvertreter, Wahl, Wähler, Wahlrecht, Wahlwerbung
Beobachtungen nach der Landtagswahl in Niedersachsen
Im Zentrum unserer deutschen demokratischen Ordnung steht das Parlament. Das Parlament ist für die Gesetzgebung zuständig, es entscheidet über die Einnahmen und die Ausgaben des Staates und das Parlament kontrolliert auch die Regierung. Die deutsche Nation bundesrepublikanischer Prägung hat derzeit eine parlamentarische Herrschaftsordnung, die im Rahmen einer so genannten repräsentativen Demokratie die Volksvertreter auswählt, die in das Parlament und in die Regierung entsendet werden sollen, um dort die Geschicke der Nation zu lenken.
Bei dieser Lage der Dinge erscheint das Verfahren für die Auswahl der Volksvertreter, die in das Parlament entsendet werden, eine außerordentlich wichtige Rolle zu spielen. Derzeit entscheiden beispielsweise in Niedersachsen 137 Volkvertreter fünf Jahre lang über die Lebensbedingungen der rund 7,9 Millionen niedersächsischen Bürger. Erst nach dem Ablauf dieser fünf Jahre kann eine erneute Wahl etwas daran ändern.
Die aktuellen Regeln geben dem Wähler, der ein Bündnis unterstützen will, Spielraum für ein strategisches Wählen:
Ein Wähler, der beispielsweise eine rot-grüne Koalition bevorzugt, sollte seine Erststimme der SPD geben, um damit den Einzug des Direktkandidaten der SPD in den Bundestag zu erleichtern, mit der Zweitstimme aber für die Liste der Grünen stimmen und damit auf Überhangmandate für die SPD spekulieren.
Ein Wähler, der sich mit solchen Fragen nicht auseinander setzt, der wählt tatsächlich die Kanzlerin, die er mag, und glaubt das wirklich.
Wenn nun jeder einzelne dieser Volksvertreter tatsächlich die rechnerisch rund 57000 Bürger vertreten würde, die ihn persönlich gewählt haben, weil sie ihn und keinen anderen als Volksvertreter in das Parlament senden wollten, und wenn dieser Volksvertreter seinen Wählern tatsächlich regelmäßig Rechenschaft schulden würde, um nicht vorzeitig wieder abgewählt zu werden, dann wäre es für den Wähler schon eine sehr große Aufgabe, den richtigen Bewerber zu finden, für dieses wichtige Amt. Im aktuellen Deutschland aber sind die Volksvertreter nach ihrer Wahl nur noch ihrem eigenen Gewissen verantwortlich und sie sind im Prinzip bis zur nächsten Parlamentswahl niemandem mehr Rechenschaft schuldig. Diese Regelung ist den Erfahrungen aus der Weimarer Republik geschuldet und macht die Aufgabe für die Wähler nicht leichter, die Richtigen Kandidaten auszuwählen für das wichtige Amt der Volksvertreter. – Aber es macht die Aufgabe und das Amt noch wichtiger!
Aber derzeit ist es halt so.
Deshalb nehmen im Deutschland bundesrepublikanischer Prägung die politischen Parteien dem Bürger einen großen Teil dieser schweren Aufgabe ab, durch die so genannten Wahl- oder Parteilisten, kurz „Listen“ genannt. Wer bei einer Wahl in Deutschland einer Partei seine Zweitstimme gibt, der wählt indirekt einen Kandidaten, den die Partei favorisiert, auch wenn ihn ansonsten niemand kennt. Je mehr Stimmen eine Partei als Partei sammeln kann, desto mehr Kandidaten kann sie von ihrer Liste in das Parlament senden. So ist es im Deutschland bundesrepublikanischer Prägung theoretisch möglich, dass der Wähler im schlimmsten Falle keinen einzigen seiner Volksvertreter im Parlament kennt, – oder anders ausgedrückt ist es in Deutschland theoretisch möglich, dass der Wähler im Parlament gar nicht vertreten ist. Das macht es für den Wähler oft nicht einfach, sich mit seiner Demokratie und seinen Volksvertretern zu identifizieren und die Wahlen ernst zu nehmen. (weiteres siehe auch http://de.wikipedia.org/wiki/Parteiliste)
Die Entwicklung des deutschen Parlamentarismus zeigt denn auch, dass es leicht fällt, sich schnell auf eine Parteienliste zu bringen, – leichter zumindest, als 57000 Bürger zu überzeugen. Ein anschauliches Beispiel lieferte bei der aktuellen Landtagswahl die Ehefrau des ehemaligen Kanzlers. Trotz eines sehr großen Werbeaufwandes (Bild) konnte sie die Bürger in ihrem Wahlkreis nicht überzeugen und wurde von diesen nicht gewählt. Nach landläufigem, aber in Deutschland irrtümlichem Demokratieverständnis vieler Wähler hätte eine solche Kandidatin eigentlich keinen Sitz im Parlament erhalten dürfen. Dank der Parteiliste aber, lief es anders. Die Partei hatte der vom Volk ungeliebten Kandidatin vorsichtshalber einen hohen Listenplatz gegeben, durch den sie nun doch Volksvertreterin spielen darf, auch wenn sie von keinem Volk gewählt wurde. So wird aus einem Parlamentarier, aus dem Macher mit einer wichtigen Aufgabe in unserer Demokratie, ein reiner Parteivertreter, obwohl er doch eigentlich ein Volksvertreter sein sollte.
Wenn ich dann bedenke, dass vor allem alle wichtigen Parteivertreter einen hohen Rang in der Wahlliste der Partei erhalten, dann drängt sich mir schnell die Frage auf, was denn die Ehefrau des ehemaligen Kanzlers so wichtig macht. – Das, was sie bis hierher an Leistung gezeigt hatte, kann es nicht gewesen sein. Allein der Medienfaktor, den die Ehefrau eines Ex-Kanzlers weltweit verkörpert, könnte einen gewissen taktischen Vorteil erwarten lassen, irgendwann, für die Partei. Dieser mögliche Vorteil der Partei stellt sich allerdings für den Bürger vor allem als Betrug dar: Seine „Nichtwahl“, die als Ausdruck einer demokratischen Willensäußerung anzusehen ist, wurde ignoriert.
In diesem besonderen Fall kommt erschwerend auch noch hinzu, das die Ehefrau des Ex-Kanzlers nicht nur ungewählt ins niedersächsische Parlament kommt, sondern ungewählt sogar eine wichtige Regierungsaufgabe übernehmen will, für die sie offensichtlich weitgehend ungeeignet ist. Das zeigen ihre ersten herzigen Kommentare über ihren neuen Aufgabenbereich: Wer sich als „Hausfrau mit Auslandserfahrung“ gut vorbereitet sieht für die Aufgaben der Integrationsbeauftragten, der hat die Aufgabenstellung (noch) nicht verstanden. Und Jene, die eine solche Fehlbesetzung entscheiden, haben (noch) nicht verstanden, dass die Integrationsarbeit bisher zwar ein Stiefkind deutscher Politik ist, tatsächlich aber eine Schlüsselaufgabe darstellt für den langfristigen Erfolg Deutschlands in seiner aktuellen Situation als reiches Einwanderungsland im Zentrum Europas mit einem demografischen Problem und mit einem sich stetig verschärfenden Facharbeitermangel. Im vier- bis zehnsprachigen Konfliktraum der Integrationsarbeit gelten besondere Regeln, die nicht von außen erforscht werden können, sondern eine kontinuierliche Investition von Arbeit, Zeit und Geld benötigen. Es gilt einen Lernprozess anzustoßen, der die Gesellschaft durchdringt, der die Menschen anhaltend motiviert und mobilisiert. Hierfür aber braucht es Ausdauer und Geduld und mehr davon, als eine Politprommi auf dem Weg nach Berlin wird aufbringen wollen. (Wer mehr über die Realität der Integrationsarbeit in Hannover erfahren möchte, der besuche doch einmal den FLAIS e.V.)
Wir wünschen der Ehefrau des Ex-Kanzlers und uns, sie könnte in ihrer neuen Aufgabe erfolgreich werden. Allein der Glaube fehlt mir. Hier soll eine wichtige gesellschaftliche und politische Aufgabe, „bei der man nur wenig Fehler machen kann“ und die immer mal für ein paar medienwirksame Fotos geeignet ist, dafür mißbraucht werden, eine schräge Polit-Karriere voranzutreiben. – Armes Deutschland.
Aber vielleicht irre ich mich ja auch und es ist alles ganz anders. Das Beispiel führt mir dennoch einmal wieder vor Augen, weshalb keine der politischen Parteien im Deutschland bundesrepublikanischer Prägung das Wahlrecht wirklich demokratisch gestalten will und weshalb keine politische Partei in Deutschland eine grundsätzliche Überarbeitung des Grundgesetzes wünscht. In beiden Fällen würde wohl der Einfluss der Parteien erheblich reduziert werden.
Weiter lesen
In diesem Zusammenhang könnten Sie auch die folgende(n) Internetseite(n) interessieren:
http://www.haz.de/Nachrichten/Politik/Themen/Landtagswahl/Doris-Schroeder-Koepf-und-ihre-Erfahrung Hier berichtet die HAZ über die Erfahrungen der Ehefrau des Ex-Kanzlers.
1 Kommentare
Carlo schreibt:
25. Februar 2013 um 23:19 Uhr
Welche Folgen unsere Parteiendemokratur hat, führt uns gerade auch der Herr Minister Rösler vor Augen, wobei ich erst gar nicht lange über Qualifikation nachdenken will…
Die Verräter sind systemgemacht! Lesen Sie mehr über den systematischen Wasserverrat von Minister Rösler auf mmnews.de/…
Beste Grüße
Carlo