Zusammenfassung

Wenn der Datenschutz beim Zahnarzt die medizinische Versorgung in Frage stellt, treffen Schmerzen auf Prinzipien. Schöne neue Welt, in der kleine Unterwerfungsformulare große Wirkung zeigen.

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Lächeln trotz Zahnschmerzen mit Bonität

Auweh, der Zahn pocht. Zuerst nur wenig, dann immer mehr, – aus dem dumpfen Dauerschmerz, der sich bald einstellt, wird allmählich ein heller und beißender, der erst bis ins Ohr reicht, dann aber langsam über die Schläfe bis unter die Schädeldecke kriecht. Das Schmerzmittel hilft jetzt nur noch wenig.

Mit geschwollener Wange und nur wenig betäubtem Schmerz suche ich meinen nahen ‚Zahnarzt und Kollegen‘ auf. Die Sprechstundenhilfe ist freundlich und erklärt mir bei der Anmeldung, dass ich ein neues Formular unterschreiben müsse, bevor ich eine medizinische Versorgung erhalten kann. Es ginge dabei nur um die Abrechnungsverfahren der Praxis, erklärt mir die freundliche junge Frau und hält mir erwartungsvoll den Kugelschreiber hin. Als ich den Kugelschreiber nicht nehme sondern beginne, das Formular zu lesen, ist die junge Frau sichtlich verunsichert. Das scheint nicht all zu häufig zu geschehen.

Wer unter Schmerzen ein Formular gereicht bekommt, der unterschreibt es ohne zögern, denn er hofft dadurch schneller seine Schmerztherapie zu erhalten. Nun, ich unterschreibe nicht. Ich unterschreibe das trivialisierte kleine Formular nicht und werde von der freundlichen jungen Frau unterrichtet, dass ich „dann gerne die Praxisräume verlassen“ könne.

Beim Gehen frage ich sie, ob Sie das Formular selbst schon einmal gelesen hat. Sie beantwortet mir meine Frage nicht. Aber ihr Verhalten der Trivialisierung, die nicht schwarz gedruckte und recht kleine Schrift und das A5-Format des Formulars lassen mich die Antwort selbst finden. Dieses Formular soll kein Patient lesen und verstehen.

Einverständniserklärung

Einverständniserklärung

Kurz zusammen gefasst steht in diesem Formular: Damit ich eine medizinische kassenärztliche Versorgung in dieser Praxis erhalte, erlaube ich die Weitergabe meiner medizinischen Daten zwecks Abrechnung an ein Inkassounternehmen. – Bis hierher hätte ich das vielleicht noch unterschrieben. Dann aber folgt ein Satz, der meines Erachtens nicht nur eine Frechheit ist, sondern auch datenschutzrechtlich äußerst fragwürdig:

Damit ich eine medizinische kassenärztliche Versorgung in dieser Praxis erhalte, „erkläre ich mich einverstanden mit der möglichen Einholung einer Information bei einer Auskunftei zur Prüfung meiner Bonität“, durch das Inkassounternehen, mit dem ich keine Geschäftsbeziehung habe. Die Einholung der Informationen über meine Bonität ist in diesem Formular noch nicht einmal von einem konkreten Behandlungsfall abhängig gemacht! Und ich erkläre, dass meine Einwilligung pauschal gilt und ohne zeitliche Einschränkung – für immer -, bis ich sie selbst widerrufe.

Wenn ich das unterschrieben habe holt wer wann bei wem Auskünfte über meine Bonität ein und mit welchem Zweck?

Wurde da vielleicht unter dem Deckmantel eines Abrechnungsservice für Ärzte eine gigantische Bonitätsauskunftei gegründet, die mehr über mich weiß als die Schufa, deren berühmter „Schufa-Hinweis“ wenigsten vier Sätze hat und nicht nur 12 Worte?

Ich weiß nicht, welcher Schmerz auf Dauer schwerer wiegt: Die heute allgemein übliche und selbstverständliche Frechheit oder zumindest Nachlässigkeit im Hinblick auf den Datenschutz oder der schmerzende Zahn. Eigentlich müsste schon lange ein heller beißender Schmerz durch unsere Gesellschaft gehen, der ein solches Geschäftsgebaren kennzeichnet, brandmarkt und ächtet.

Anmerkungen

Wenn ich das richtig sehe, dann braucht dieses Geschäftskonzept auch keine Unterweisung über die Rechte des Patienten auf Auskunft, Berichtigung und Löschung. Ich kann zumindest auf diesem Unterwerfungsformular im Format A5 keinen entsprechenden Hinweis finden. Der Hinweis auf §33 BDSG ist am Verwaltungstresen des Arztes kaum dienlich.

Insgesamt erscheint mir diese gesamte Vorgehensweise darauf angelegt zu sein, den Patienten zu übervorteilen, denn die gesamte Gestaltung des Formulars lässt es unwichtig erscheinen. Die Rechtsverhältnisse aber, die sich aus diesem kleinen Formular der Größe A5 ergeben, sind so komplex, dass sie nur schwer auf einem Blatt Papier der Größe A4 zu erläutern wären…

Versuchen Sie es doch einmal: Was passiert, wenn Sie davon Kenntnis erlangen, dass Sie Ihren neuen Job deshalb nicht bekommen, weil ihre Zähne so schlecht und in ständiger Behandlung sind? – Glauben Sie tatsächlich, dass wäre unmöglich? Mit diesem kleinen Formular erlauben Sie dem Inkassounternehmen ihres Arztes, die Weitergabe Ihrer Daten an einen Refinanzierer, also an eine weitere Firma, mit der Sie kein direktes Rechtsverhältnis haben. Ihr Arzt, dessen Inkassounternehmen und wiederum dessen Refinanzierer speichern Ihre Daten mindestens 10 (ZEHN) Jahre lang, weil das Finanzamt es so will. Können Sie in drei Jahren heraus bekommen, wer Ihre Daten veruntreut und Ihnen einen erheblichen Schaden zugefügt hat? Nein. Ihre Daten liegen ja an vier rechtlich unabhängigen Stellen, die alle für eine Veruntreuung in Frage kommen. Ein eindeutiger Beweis ist deshalb kaum herstellbar. Selbst wenn Sie den Beweis führen könnten, hätten Sie dann wirksame Rechtsmittel gegen den Verursacher? – Nein, nicht in Deutschland.

Hier wird sehr schnell auch offensichtlich, dass unser viel gerühmtes Bundesdatenschutzgesetz an vielen Stellen noch sehr lückenhaft ist und noch lange nicht das leisten kann, was es leisten müsste. Auch auf dieser Baustelle verhalten sich jedoch die etablierten Parteien derzeit abwartend, denn die EU wird es schon regeln, – früher oder später, besser oder schlechter.

Eine kleine Hoffnung, dass sich im Hinblick auf die modernen Informationszeiten in absehbarer Zeit auch in den Regierungskreisen etwas zum Guten wendet, macht mir der Einzug der Piratenpartei in die Parlamente. In der Auseinandersetzung mit echtem technischen Know-how kann dann kein Volksvertreter mehr behaupten, er hätte von nichts gewusst.

Kennen Sie eigentlich den für Sie zuständigen Datenschutzbeauftragten Ihres Bundeslandes? Kennen Sie dessen Aufgaben und Kompetenzen? Außer in Bayern sind die Landesbeauftragten für den Datenschutz auch für die Datenschutzaufsicht z.B. bei Wirtschaftsunternehmen, Vereinen, Verbänden oder Parteien zuständig und können von jedem Bürger angesprochen werden. Schauen Sie doch einmal bei Wikipedia nach und verfolgen Sie den einen oder anderen Link zu diesem Thema.

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http://de.wikipedia.org/wiki/Landesbeauftragter_f%C3%BCr_den_Datenschutz Who-Is-Who der Länder

http://www.lfd.niedersachsen.de/portal/live.php?navigation_id=26310&article_id=88672 in Niedersachsen zuständig

http://www.finanznachrichten.de/nachrichten-2012-03/23059895-sammelklage-in-den-usa-gegen-neue-datenschutzregeln-von-google-016.htm Eine französische Datenschutzkommission (CNIL) ist zu dem Ergebnis gelangt, dass die neue Datenschutzrichtlinie für alle Google-Dienste gegen europäisches Recht verstößt.